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Die Nadelkissenzone

Achtung! In diesem Beitrag erzähle ich sehr offen von meiner Beziehung zu meinem Körper und Essen. Wenn das Thema für dich zu sensibel ist, lese diesen Artikel nicht. Hier geht es um die Stigmatisierung von Diabetes und Übergewicht, wie Diabetes das Essverhalten beeinflussen kann und die Angst vor Nadeln.


Ich gehörte schon immer zu den dickeren Kindern. Das hat sich auch mit der Diabetes Diagnose nicht verändert. Zwar hatte ich in den Wochen bis zur Diagnose viel Gewicht verloren, aber dies kam wieder hinzu, als es mir besser wieder ging.


In meinem Bericht über die Diagnose in meiner Kindheit habe ich ja schon erwähnt, dass ich mich anfangs sehr schwer damit getan habe, mich selbst zu spritzen. Zwar hatte ich nie Probleme mit Impfungen beim Arzt, aber ich wusste auch immer, dass es nur kurz war und ich musste nicht hinsehen. Abgesehen davon tut es oft genug weh, wenn man sich spritzt. Das ist einfach die Realität. Natürlich wollte ich das nicht ständig machen. Vor allem der Prozess des aktiven Nadel-in-die-Haut-Stechens bereitete mir Probleme.


Eine Spritzhilfe half mir

Um diesem Umstand zu entgehen, bekam ich eine Spritzhilfe. Das war damals ein zusätzliches Plastikteil um den Pen herum. Man konnte den Pen aufziehen und losschießen, indem man auf einen gelben Knopf gedrückt hat. Das hat für mich zunächst das Problem des Selber-Spritzens gelöst. Ich erlangte so Abstand zu der Tätigkeit und zu mir selbst in dem Spritzprozess. Trotzdem versuchte ich immer so selten wie möglich zu spritzen, denn "das muss sich auch lohnen". Ich bekam trotzdem oft blaue Flecken und blutete. Zusätzlich zu meinen Überwindungsschwierigkeiten zu spritzen, kann ich auch kein Blut sehen. Bei mir selbst geht es inzwischen, aber bei anderen erst recht nicht.

Wie der Diabetes die Beziehung zu meinem Körper beeinflusst hat

Der Diabetes hat meine Beziehung zu meinem Körper stark geprägt. Zwischen den Gefühlen Wut, Schwäche, Frustration, Pragmatismus und auch Dankbarkeit, musste er vor allem eines: Funktionieren. Als Kind habe ich es noch nicht so krass wahrgenommen, aber rückblickend kann ich sagen, dass ich versucht habe, mich selbst vor den zusätzlichen Belastungen zu schützen. Für die ganzen Nadeln, die täglich meinen Körper traktierten, schaffte ich eine Nadelkissenzone. Das bedeutete für mich, dass Zonen mit mehr Fettgewebe weniger Gefühl für mich hatten und ich es daher als sicherer empfand dort zu spritzen.

Stigmatisierende Aussagen erschwerten den Umgang

Leider bekam ich auch schon früh die gleichen Dinge zu hören, die wahrscheinlich auch viele Menschen mit Diabetes Typ 2 unberechtigterweise hören müssen. Ich "sei aber sehr jung für Diabetes" und "irgendwie selbst Schuld". Auch wenn nicht alle diese Aussagen machten, besonders als Kind nahm ich wahr, was einige dachten. Das übte natürlich Druck auf mich aus. Irgendwie schlanker sein zu müssen, dabei half mir meine Nadelkissenzone doch mit meinem Diabetes klar zu kommen. Dieser Konflikt läuft in mir ab.



Diabetes und die schwierige Beziehung zum Essen

Während mein Sportlehrer damals einen unglaublich schlechten Job darin machte, die Lust an Sport in mir zu wecken, entwickelte sich bei mir ein Belohnungssystem: Jeder geschaffte Tag mit Diabetes ist schließlich ein Gewinn. Ich hatte lange das Gefühl, dass ich irgendwas ausgleichen müsste. Dass Diabetes einfach so scheiße ist, dass ich mir im Gegenzug etwas Gutes tun müsste. Das war und ist oft einfach „gutes“ Essen, also hauptsächlich unausgewogene Sachen. Besonders als Kind und Jugendliche hätte ich keinen Tag ohne Schokolade auskommen können. Darüber, dass das kein gesundes System ist, müssen wir nicht diskutieren. Es hat mir aber Sicherheit gegeben. Eine „Schutzschicht“ um mich herum errichtet, in die die Nadeln reindurften. Und zusätzlich hat es natürlich auch psychisch eine Mauer gebaut, denn im Naschen fand ich ja vermeintlich den Ausgleich oder sogar eine Art Befreiung. Das hier soll keine Verteidigung dafür sein, dass ich mehr wiege, als empfohlen wird. Für mich ist es einfach sehr wichtig nachzuvollziehen, woher mein Essverhalten kommt und was es psychisch mit mir macht.

Abgesehen davon stört Diabetes eine gesunde Beziehung zum Essen. Natürlich hat man einen bewussteren Umgang, weiß eher darüber Bescheid, was eigentlich im Essen drin ist. Man kann aber auch nie einfach nur Essen. Als Mensch mit Diabetes denke ich immer über mein Essen nach. Es ist für mich zum Beispiel völlig absurd, dass einige Menschen einfach so Saft trinken, weil er schmeckt. Das klingt in meinen Ohren ganz komisch. Oder eine ganze Tüte Gummibärchen? Man misst seine Nahrung irgendwie in der Währung Insulin und wie viel davon man braucht.


In meiner Erfahrung muss ich meine Beziehung zum Essen immer wieder hinterfragen. Auch jetzt noch. Schließlich ist es zu einem großen Teil eine Umgangsstrategie, für die mir die Alternativen fehlen.


Erzähle mir gerne von deiner Erfahrung in den Kommentaren!

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