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„Seien Sie nicht so traurig, immerhin sitzen Sie nicht im Rollstuhl.“

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Erfahrungsbericht, den ich im Rahmen der Kampagne zu einer Patient*innenkommunikation auf Augenhöhe geschrieben habe.


Zum Ende meiner Pubertät war ich soweit, mir einzugestehen, dass mich Diabetes mehr belastet, als ich gerne zugeben würde. Infolgedessen sprach ich das Thema bei meinem Diabetologen an. Ich schilderte ihm, wie sehr und wie lange mich Diabetes psychisch belastete und welche Auswirkungen dies auf mein Management und die Beziehung zu meinem Diabetes hatte. Mein Diabetologe schlug vor, für mich einen Termin bei einer Diabetesberaterin zu machen, welche im selben Haus arbeitete, und so willigte ich ein.


Der Tag bei der Diabetesberaterin kam und ich setzte viele Hoffnungen in diesen Termin. Die Frau empfing mich freundlich und bat mich, zu schildern, warum ich da sei. Ich versuchte, meine Probleme in Worte zu fassen, doch schnell kamen mir die Tränen. Heute weiß ich, dass ich in dieser Situation überfordert war und gar nicht richtig definieren konnte, was eigentlich mein Problem war.

Ziemlich schnell griff die Diabetesberaterin ein und versuchte, mich zu trösten. Ich kann heute nicht mehr genau sagen, was sie alles gesagt hat, um meinen Diabetes weniger schlimm aussehen zu lassen, aber an den Kern ihrer Aussagen erinnere ich mich sehr wohl.

Es war ganz nach der Manier „Es gibt Schlimmeres als Diabetes“, „Andere Menschen haben es schlechter“ und „Mit Diabetes kann man gut leben“.

Eine ihrer Aussagen ist bei mir jedoch deutlich hängen geblieben: „Seien Sie nicht so traurig, immerhin sitzen Sie nicht im Rollstuhl.“


Was sie sagte, führte nicht dazu, dass ich mich getröstet fühlte. Im Gegenteil: Es frustrierte mich so sehr, dass sie nicht verstehen konnte, wie es mir geht, dass ich aufhörte, etwas zu sagen und infolgedessen auch, zu weinen. In meinem Inneren legte sich ein Schalter der Resignation um. Ich ließ den Termin und ihre Ratschläge nur noch über mich ergehen, um dann gehen zu können.


Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass weder sie noch sonst jemand mir helfen konnte. Nach dieser Erfahrung bin ich kein weiteres Mal zu einer Diabetesberatung gegangen.


Rückblickend hätte ich in der Situation gern ganz anders gehandelt. Ich wünschte, ich hätte ihr gesagt, dass nicht die Art der Behinderung allein die Last bestimmt, die sie für die betroffene Person darstellt. Viele Faktoren spielen in unserem Empfinden eine Rolle. Abgesehen von Lebensphase und äußeren Umständen sind wir alle auch innerlich unterschiedlich und empfinden verschieden. Für einige mögen die Nadelstiche am Diabetes das Schlimmste sein, für andere sind es die Berechnungen oder die zusätzlichen Arzttermine.

Es bringt nichts, in diesem Kontext einen Vergleich anzustellen.



Stattdessen hätte ich mir gewünscht, man hätte mir gesagt, dass ich mit der Herausforderung nicht allein bin. Dass es völlig okay ist, meinen Körper auch mal zu hassen. Dass es Tage und Wochen geben darf, in denen alles schief läuft. Dass es eben nicht einfach ist. Dass mir das niemand abnehmen kann, aber dass es Unterstützung gibt, wenn man mit dem Umfeld offen über Möglichkeiten spricht.


Diese eine Erfahrung hat dafür gesorgt, dass ich viel länger gebraucht habe, um mir über all das klar zu werden. Ein Nebeneffekt davon war auch, dass ich länger brauchte, um eine gute Beziehung zu meinem Diabetes aufzubauen.

Ich würde mir wünschen, dass medizinisches Fachpersonal sich darüber bewusst ist, dass Aussagen eine Wirkung auf uns haben, die möglicherweise nicht der eigentlichen Intention entspricht.




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